Aus Sicht des Direktors von Kunert

DIE STRÜMPFE DER MARKE KUNERT STAMMEN AUS VARNSDORF
Gespräch mit Peter Gumbel

Peter Stefan Gumbel ist seit dem 2023 der CEO von Kunert. Seine Karriere in der Eigentümer-Holding begann bereits im Jahr 2007, wodurch er auf eine lange und vielseitige Entwicklung des Unternehmens zurückblicken kann. Im Gespräch mit uns beschreibt er die Herausforderungen und Erfolge des Unternehmens, seit es 1945 aus der Tschechischen Republik wegziehen musste, bis hin zu seiner jetzigen Form und zukünftigen Perspektiven.


Die Elitefabrik, also die Fabrik, die der Tschechischen Republik übriggeblieben ist, feiert ihr Jubiläum. Wir versuchen, ihre Geschichte aufzuzeichnen. Wir haben nicht viele Informationen darüber, wie sich Kunert nach der Verstaatlichung in der Tschechischen Republik, in Deutschland entwickelt hat. Können Sie uns diese Entwicklung näherbringen?
Ja, kann ich gerne machen. Ich möchte mich zuerst bedanken für die Möglichkeit, dass ich ein Interview geben darf – (Internetverbindung brach ab) Und man muss sehen, es waren viele Familien dort involviert. Viele Leute haben dort ihren Lebensmittelpunkt gehabt und es ist schön, wenn so was nicht in Vergessenheit gerät. Und so ist es bei uns auch. Die Familie Kunert ist nach dem Krieg aus Tschechien weggezogen und hat eine neue Heimat gesucht, wo sie wieder ein neues Unternehmen aufbauen konnten, denn sie waren eine echte Unternehmerfamilie. So kamen sie nach Westdeutschland und haben ihre erste Bleibe und neue Heimat hier in Immenstadt im Allgäu, in der Grenzregion zwischen Österreich, Schweiz und Deutschland, gefunden. Hier haben sie mit 20 Mitarbeitern angefangen, welche sie ebenfalls bereits aus Varnsdorf mitgebracht hatten. Sie haben Maschinen geliehen, sind irgendwo hier in einer Scheune untergekommen und haben dort angefangen zu stricken. Sie haben dieses Unternehmen wieder so aufgebaut, oder wollten es so aufbauen, wie es vormals auch bei ihnen in Tschechien der Fall war. Sie hatten dann, bereits nur zehn Jahre später, ein Unternehmen mit 650 Mitarbeitern auf die Beine gestellt. Kunerts  mussten alle Maschinen, die Sie damals hatten, auch selber bauen und diese betreiben. So hatte man dann die 50er Jahre schon ganz gut über die Bühne gebracht und das Unternehmen war sehr erfolgreich. Dies lag natürlich auch am Firmengründer, dem Senior, der sich hier noch groß miteingebracht hatte und natürlich auch an Julius Kunert selbst, der die Firma dann nach vorne getrieben hatte. Zu dem Zeitpunkt waren 85 % aller Mitarbeiter aus Varnsdorf. Das heißt nur 15 % der Mitarbeiter kamen hier aus der Region, aus dem Allgäu und aus dem Bodenseeraum, alle anderen sind aus Tschechien hier übergesiedelt. Und so gab es dann schnell eine recht positive Entwicklung. Man hatte dann später sogar 1300 Mitarbeiter hier am Standort und hat dann in den Folgejahren bis zu 700 Millionen Mark Umsatz im Jahr. 1990 war ein Rekordjahr und Kunert hat sich dann die Marke Hudson mit einverleibt. Wir betreiben die Marke Kunert, sowie die Marke Hudson und decken mit beiden Marken ein ganz großes Portfolio ab. Die jüngere Generation, ebenso wie unsere ältere Kundschaft, die wir gerne natürlich weiterhin mit Kunert bedienen. Wir haben dann 1981 in Marokko eine Produktionsgesellschaft gegründet, die ausschließlich für Kunert produziert hat. Und so ging es eigentlich immer bergauf, bis sich die Zeitenlage geändert hat. Strümpfe waren nicht mehr en vogue und so sind dann folglich die Umsätze ebenfalls nach unten gegangen. Man hat das Unternehmen verkleinert. Und so gab es wirklich ganz drastische Veränderungen im Bereich des Umsatzes und auch im Bereich der Marke Kunert. Dies war für das Unternehmen eine relativ schwierige Zeit. 

Sie haben gerade mit dieser Aussage geendet, dass eben die sich Zeiten geändert haben und Strumpfhosen nicht mehr so begehrt sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Woran könnte das liegen? Und was ist ihr Produkt, das sich jetzt immer noch am meisten verkauft? 
Ja, also diese haben sich drastisch geändert. Ich sage jetzt mal, die Damenwelt zieht sich einfach anders an, wie sie das früher getan hat. Nicht mehr so klassisch, sondern es werden Hosen getragen, seit Jahrzehnten ist die völlig normal. Und das hat natürlich zu einer dramatischen Veränderung geführt. Der Feinstrumpf für die Damenwelt, ist nicht mehr so wichtig, wie er damals war, und dies hat zu drastischen Umsatzeinbrüchen geführt und hat somit das ganze Unternehmen durchgeschüttelt. Wenn, angenommen, 3000 Mitarbeiter hier am Standort alle einen Anspruch auf eine Betriebsrente haben, dann wird es schwierig für ein Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt vielleicht nur noch 500, oder 600 Mitarbeiter hat, dies alles zu finanzieren. Das hat dann tatsächlich dazu geführt, dass die Firma Kunert im Jahr 2004 eine Planinsolvenz hatte und ein Investorenteam eingestiegen ist. Aber, zurück zu den Strümpfen. Wir versuchen, solche Marktbewegungen zu kompensieren, indem wir neue Marktsegmente erobern. Das heißt, man hat dann nicht nur Damenstrümpfe – Feinstrümpfe im Portfolio, sondern natürlich dann auch Kniestrümpfe, normale Strümpfe, gestrickte Strümpfe und auch eine Herrenkollektion aufgelegt und konnte so einiges kompensieren. So sind wir heute doch relativ breit aufgestellt, viel breiter, als wir das früher waren.

Herr Gumbel, Sie haben den Kunert Senior erwähnt. Was können Sie uns über Herrn Kunert Senior sagen? 
Nein, das ist tatsächlich nicht der Fall. Im Jahr 2004 ist eine große Investorengruppe in das Unternehmen eingestiegen und haben damit auch die Geschäftsführung übernommen. Das bedeutet, die Familie Kunert ist zum damaligen Zeitpunkt eigentlich aus dem Unternehmen zur Gänze ausgeschieden. Im Jahr 2013 kam es sogar so weit, dass man Insolvenz anmelden musste. Das Unternehmen war nicht mehr zahlungsfähig, und man musste es neu aufstellen. Da sind wir aus heutiger Sicht natürlich als Mitarbeiter hier auch dankbar, dass Herr Doktor Grossnigg, ein österreichischer Unternehmer, welcher die große Weitsicht hatte, auch verschiedene andere Unternehmungen erfolgreich führt, das Potential des Unternehmens erkannt hat und festgestellt hat: „Mensch, hier gibt es ein Potenzial, hier könnte man weiterhin was daraus machen.“ Diese Strategie verfolgt er jetzt seit über elf Jahren, seit ihm das Unternehmen gehört. Und er ist sehr konsequent in der Sache, ist nicht nur des Öfteren hier bei uns vor Ort, sondern auch in unserer alten Produktionsstätte in Marokko. Auch da bringt er sich ein. Aber die Familie Kunert schwingt bei uns immer noch mit, nicht nur im Namen, sondern auch so ein bisschen in den Gedanken und auch durch Mitarbeiter, die schon länger hier sind, teilweise 30, 40 Jahre. Diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben die Familie Kunert natürlich noch kennengelernt. Aber aktiv am Firmenleben hier nimmt aus der Familie Kunert niemand mehr Teil.

Der jetzige Besitzer. Was können Sie uns über ihn sagen? Sie haben gesagt, er hat eine extreme Weitsicht.
Ja. Er ist ein Unternehmer aus Österreich. Eigentlich ein Bänker, war lange bei der Chase Manhattan Bank in New York, in Paris und betreibt einige Unternehmungen, welche er in seiner Holding gebündelt hat. Das beginnt bei einer Eisenbahnlinie und endet bei einer Traktorenfabrik. So hat er aber auch sehr viele Unternehmungen, die im Textilbereich angesiedelt sind, und das hat ihn vermutlich auch auf Kunert gebracht: Er besitzt hier in unmittelbarer Nähe schon seit längerer Zeit ein Unternehmen, die Firma Kauffmann, welche in Hörbranz in Österreich angesiedelt ist. Das sind jetzt gerade mal 30 Kilometer Luftlinie von hier. Hierbei handelt es sich um eine große Bettfedernfabrik. Dazu kam später mit der Firma Sanders ein Unternehmen in Bramsche, in Norddeutschland, welches das Gewebe herstellt. So dass er also die Inhalte dieser Bettdecken hatte und auch das Gewebe, das Inlett, drumherum. Er versucht immer wieder dies im Portfolio zu halten, das Sinn und Synergien hat. So war es letztlich mit Kunert auch, er sagte sich: „Mensch, hier gibt es Potenzial und im Textilbereich sind wir eh tätig, da finden wir auch die passenden Mitarbeiter.“ Auf diese Weise ist er sehr erfolgreich. Wir freuen uns, dass wir jetzt die letzten Jahre natürlich hier im Unternehmen auch Gewinne erwirtschaften konnten. Jahrelang, nach der Insolvenz war das nicht möglich. Und so sind wir froh, dass wir die letzten Jahre doch tatsächlich hier auch wieder schöne Gewinne erwirtschaften konnten.

Können Sie auf diese Zeit nach der Insolvenz mehr Bezug nehmen? Was können Sie uns über diese Zeit sagen? Wie sieht das Unternehmen jetzt aus?
Dies waren sehr turbulente Jahre. Das Unternehmen war auch im Besitz einer sehr großen Immobilie, welche aus heutiger Sicht gänzlich überzeichnet wäre. Diese war mal geplant, eben für bis zu 3000 Mitarbeiter, aber tatsächlich arbeiten hier an dem Standort der Firma Kunert nur noch 60 Mitarbeiter. Wir sind ein reines Handelsunternehmen geworden. Das heißt, wir produzieren keine eigenen Strümpfe mehr, sondern diese werden ausschließlich in unserer früheren Produktionsstätte in Marokko produziert. Diese ist rechtlich getrennt von uns. Das heißt, hier bei uns in Immenstadt, ist Kunert nun ein Handelsunternehmen, wo wir Strümpfe einkaufen, welche wir später wieder über unsere Marken und Partner vertreiben, hauptsächlich in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Das sind eigentlich unsere Heimatmärkte. Wir verkaufen ungefähr 6 Millionen Paar Strümpfe im Jahr und haben auch ein sehr gutes Standing am Markt. Der Name Kunert ist noch ein Begriff. Für meine Generation und älter selbstverständlich noch eher. Wir versuchen mit der Marke Hudson auch wieder die Jüngeren ein bisschen für uns zu gewinnen. Über die neuen Medien, über Instagram und alle anderen Möglichkeiten, die es da heute so gibt. Da das Unternehmen immobilientechnisch so groß ist, hat man sich noch einen Partner ins Haus geholt und versucht diese Immobilie natürlich jetzt anderweitig zu vermarkten. Wir selbst werden hier aber auf dem Gelände bleiben, haben hier unser Domizil gefunden. Eines der Gebäude werden wir jetzt auch sukzessive wieder sanieren, damit es energetisch aufbereitet ist und wir hier für die Zukunft gewappnet sind. Die Mitarbeiter müssen sich hier wohlfühlen und jeder muss sich hier auch wiederfinden können. Da sind wir eigentlich sehr aktiv in dem Bereich und schauen, dass wir hier in den nächsten anderthalb, zwei Jahren überall einen Knopf dran bekommen. 

Sie haben gesagt, wie sich das Unternehmen entwickeln wird oder wie sie hoffen, dass sich es entwickelt. Mich würden die Produkte noch interessieren. Wie sieht es mit den Produkten aus? Wie sehen Sie die Entwicklung in die Zukunft?
Ja, also wir sehen die Entwicklung eigentlich sehr positiv für uns, denn es gibt viele Bereiche, die wir bis dato noch gar nicht angegangen sind. Man hat irgendwann im Jahr 2010 begonnen, den E-Commerce so ein bisschen nach vorne zu schieben. Und heute, das hat uns ja auch Corona leider gelehrt, werden viele Artikel einfach im Internet bestellt. Und so ist natürlich auch ein Strumpf ein Alltagsgegenstand, den sie immer wieder einmal brauchen und den sie ganz schnell und bequem, ganz besonders wenn Sie der jüngeren Generation angehören, im Internet kaufen. Hier haben wir unsere Marketingstrategien ein bisschen verändert. In diesem Bereich haben wir einen eigenen Webshop und verschiedene Plattformen, über die wir unsere Artikel vertreiben. Und wir haben natürlich unser Portfolio vergrößert. Das heißt, wir bieten nicht nur Damenfeinstrümpfe an, wie das früher der Fall war, sondern eben auch Kniestrümpfe, Leggins und natürlich auch eine große Herrenkollektion. Das heißt, wir haben ein sehr breites Artikelspektrum und haben aber auch noch weiterhin die Möglichkeit, dieses zu erweitern, weil wir in dem Bereich der funktionellen, oder medizinischen Strümpfe eher nicht so gut angesiedelt sind. Da lassen wir im Moment noch mit Sicherheit viel Potential ungenutzt. Und genauso verhält es sich auch im Bereich der Kinderbekleidung. Auch im modischen Bereich gibt es mit Sicherheit Möglichkeiten, wo man noch einiges machen könnte. Wir haben für uns hier, und dies ist uns ganz wichtig im Unternehmen, weiterhin die eigene Produktentwicklung. Das bedeutet, wir haben hier im Hause Kunert die Strickmaschinen und wir haben die Mitarbeiter, die hier die Produkte selber entwickeln und das bis zur Serienreife. Eine eigene Färberei, eine eigene Strickerei, wo wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigen, ausschließlich nur, um neue Artikel zu entwickeln, oder alte zu verbessern, neue Garne zu testen, und neue Farben auszuprobieren. Und dies ist uns ganz wichtig, dass wir nicht einfach etwas zukaufen in Fernost, irgendwo in der Welt. Sondern wir wollen dies selber hier entwickeln und produzieren. Und da sehen wir auch die Möglichkeiten, nachhaltig zu produzieren, bei uns am Standort, wo wir auch die passenden Vormaterialien, wie nachhaltige Garne einkaufen, um sagen zu können, okay, hier macht es Sinn, ein deutsches Produkt zu kaufen, das wir dann hier auch in Deutschland vertreiben. Da sehen wir einen großen Markt auch in der Zukunft. 

Herr Gumbel, nur zum Verständnis. Ich bin jetzt ein wenig unsicher. Sie haben ja gesagt, Sie produzieren in Marokko. Sie haben ebenfalls eine Produktionsstätte hier in Deutschland?
Genau. Aber nur für die Entwicklung. Das bedeutet, wir produzieren jeden Strumpf zunächst hier in Immenstadt, machen die Größensätze, oder auch die Mustersätze selbst. Diese produzieren wir hier selbst auf unseren Maschinen, damit wir sehen, wie sieht der Artikel dann später einmal aus. Wir geben dies dann weiter nach Marokko, in die Produktionsstätte, und dort werden dann auch die großen Mengen produziert. Aber alles läuft zuerst einmal hier über den Tisch und ist dann bis zur späteren Qualitätssicherung bei uns hier im Hause angesiedelt. Das macht es sehr einfach, wenn man kurze Wege hat. Der Leiter dieser Produktion hier, der kommt mit seinen Mustern vorbei, man kann sich dies gemeinsam mit dem Brandmanagement und der Qualitätssicherung anschauen und so ist man schnell in Rufweite. Das ist was ganz anderes, als wenn Sie irgendjemandem eine Mail nach Hongkong, oder nach Shanghai, senden und sagen „Ich hätte bitte gerne einen dunkelgrünen Strumpf“. Da sind wir ganz, ganz weit davon entfernt. Weil wichtig ist für uns natürlich auch, dass wir diese Exklusivität und das Know-how bewahren und im hier Hause halten. Unser Strumpf muss sich immer ein bisschen unterscheiden von dem, was an den anderen Haken vom Wettbewerb hängt. Wir haben den Anspruch an uns, dass unser Strumpf einfach ein bisschen feiner ist, gefälliger ist, seidiger ist im Glanz. Das sind alles Attribute, die man unseren Artikeln zuspricht. Und das können sie nur erreichen, wenn sie diese Entwicklung selber gemacht haben.

Was ist also ein Kunert Strumpf, was macht ihn aus? Sie haben es kurz angesprochen.
Der Kunert Strumpf hat natürlich über Jahre hinweg eine große Tradition. Und man hat ja auch sehr viele Partnerschaften im Lieferantenkreis. Das heißt, wir kaufen auch heute noch Garne bei Firmen ein, mit denen wir schon 30, 40, 50 Jahre zusammenarbeiten, mit denen wir gemeinsame Entwicklungen gemacht haben, wo wir gesagt haben: „Wenn wir diese Garne so oder so verändern, dann haben wir vielleicht noch die Möglichkeiten das der Strumpf noch passgenauer ist.“ Wir haben die Möglichkeiten, dass er einfach eine bessere Haptik hat oder das Erscheinungsbild schöner ist. Und dies hat man dann gemeinsam entwickelt, auch mit vielen Partnern zusammen. Das unterscheidet uns schon von einem reinen Zukauf. Wir wollen das alles begleiten. Vom ersten Meter Garn bis zur Verpackung, die wir natürlich auch selber entwickeln und einkaufen. Wo wir uns auf niemand anderes verlassen. Ganz besonders, da wir auch die Nachhaltigkeit in und durch die Verpackung zeigen wollen und nicht nur im Produkt selbst.

Gibt es ein Produkt, worauf Sie persönlich oder worauf Kunert sehr stolz ist?
Ja, also ich denke das Produkt von Kunert und das auch viele mit uns in Verbindung bringen, ist die Chinchillian. Das ist eine Strumpfhose, die einfach vom Glanz, von der Haptik, vom Griff und der Elastizität her in den 50er Jahren entwickelt wurde und mit Sicherheit auch zum „Weltruf“ von Kunert beigetragen hat. Oft kopiert, nie erreicht. 2010 war es möglich, mit einer Garnverbesserung tatsächlich diesen Strumpf auch so zu produzieren, dass er eben keine Laufmaschen mehr produzierte. Und dies war im Prinzip das Produkt das Kunert mitentwickelt hat und von dem wir jahrelang profitiert haben und auch heute noch profitieren. Ja, das ist bestimmt die Chinchillian.

Wie sieht die Zukunft Kunerts aus in Anbetracht der Weltlage, der Entwicklung? Sie haben gesagt, es sieht sonnig aus, die Konkurrenz mit dem asiatischen Raum. Wie schätzen Sie das ein? 
Ja, also Konkurrenz gibt es dort eine große. Sie sehen es ja selbst am Markt, die großen Brands, egal wer das ist, die schauen sich natürlich auch um: „Wo kann ich noch kleine Nischen bedienen?“ Und so haben die großen Marken jetzt überall ihre Strümpfe mit auf den Markt gebracht. Das sorgt natürlich ein bisschen auch für Preis- und Platzdruck in den Warenhäusern, auch für uns. Aber wir, wir sind hier beheimatet. Das heißt auch unser erster Garnlieferant ist nur 50 Kilometer weg von hier. Und so produzieren wir hier im Prinzip alles von der Entwicklung an, zur Gänze und achten darauf, immer bedacht auf Nachhaltigkeit, nicht in eine Abhängigkeit zu geraten. Es sollte alles in unserer Hand liegen, denn wir haben auch die Verantwortung gegenüber dem Konsumenten.

Ich finde es interessant. Es ist ja nicht sehr typisch für ein großes Unternehmen, zu versuchen so lokal zu sein, so wie ich das einschätzen kann. Wie ist die Erfahrung damit? 
Es ist tatsächlich so, dass auch bei den Konsumenten ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Wenn Sie heute in ein Lebensmittelgeschäft gehen, dann schauen Sie auch zunächst einmal: „Was gibt es da? Ist der Apfel vielleicht aus Südafrika, kommt das Lammfleisch vielleicht aus Australien, aus Neuseeland?“ Dies sind alles Dinge, die Sie heute mit in Ihre Kaufentscheidung einfließen lassen. Früher hätte man sich darüber keine großen Gedanken gemacht. Heute schauen sie sich das an und sagen: „Ach Mensch, die Kartoffeln, die kaufe ich doch lieber beim Bauern nebendran, den kenne ich ja. Und auch wenn es einen extra Weg bedeutet, den ich dann zurücklege. Mit dem Fahrrad, versteht sich.“ Und das hat alles Auswirkungen. So ein Mind-Changing hat stattgefunden, wo sie dann einfach sagen: „Ich kaufe aus der Region“. Und das wollen wir hier schon auch haben. Wenn wir in Hamburg einen Strumpf verkaufen, dann ist der trotzdem nicht über die Weltmeere geschippert, sondern den haben wir dann im Prinzip hier entwickelt, wir haben ihn in Marokko produziert, aber wir haben das dort sehr nachhaltig konzipiert und ich denke, dass wir da in der Zukunft auch einen sehr großen Erfolg haben werden.

Herr Gumbel, ich würde noch sehr gerne zum Standort in Marokko nachfragen, jetzt wo Sie es angesprochen haben, dass Sie das auch so nachhaltig aufgegleist haben. Wie sieht es in Marokko aus? 
Wir sind also natürlich teilweise permanent in Marokko mit Mitarbeitern. Ich selbst, oder auch meine Kollegen im Einkauf sind alle vier Wochen mindestens für drei, vier Tage dort und man hat auch dort bereits viele Dinge angepasst, oder geändert. Es gibt dort zum Beispiel moderne Kläranlagen. Früher, als wir die Firma dort aufgebaut haben, gab es in Marokko noch relativ wenig Auflagen, die heute natürlich schon ganz anders sind und die wir natürlich zur Gänze alle, nahezu „EU konform“ erfüllen wollen, auch wenn es in einem Drittland ist. Es gibt dort ein französisches Arbeitsrecht. Das heißt, die Mitarbeiter sind sozial abgesichert, eigentlich noch stärker und besser, wie Sie dies in Deutschland wären, und davon profitieren wir natürlich auch. Wenn wir heute eine Zertifizierung in Marokko nach ISO 9001 oder BCI durchführen, dann ist es für uns eine relativ einfache Sache diese zu erreichen, weil wir einfach die Vorgaben von dort schon zur Gänze erfüllen. Es arbeiten dort aktuell ca. 430 Mitarbeiter und das ist eigentlich sehr gut organisiert. Wir sind sehr zufrieden damit.

Was die Arbeiter anbelangt. Im Rahmen des Elite 100 Projekt will ich noch schnell auf den Ruhestand zu sprechen kommen. Damals, zu Zeiten des Kommunismus. Das ist auch, weshalb dieses Projekt überhaupt entstanden ist. Damals wurden Mitarbeiter*innen, die 40 Jahre in der Firma oder 50 Jahre gearbeitet haben und dann in den Ruhestand gingen, mit einer regelrechten Zeremonie entlassen und für ihre Arbeit ausgezeichnet und dies und das. Wie sieht es bei Ihnen aus? Haben Sie auch eine Tradition? Wie wird eine langzeitige Arbeiter*in, Mitarbeiter*in in den Ruhestand entsendet? Gibt es da eine Tradition? 
Das gibt es hier in der Region schon. Bei uns ist dies eher unüblich, aber ich habe es in Österreich kennengelernt, in dem Unternehmen, das ich vorher angesprochen habe, welches diese Bettdecken herstellt. In diesem Unternehmen, das weiß ich noch, da war ich noch als junger Mitarbeiter und dann wurde ein Senior in den Ruhestand verabschiedet. Da kam die ganze Familie rein, mit mindestens 20 Personen, haben eine Musikkapelle mitgebracht und an seinem letzten Arbeitstag, haben alle Leute zwei, drei Stunden nicht mehr gearbeitet. 100 Leute haben nur diesen Herrn verabschiedet, der dort einfach 40 Jahre tätig war. Ich fand das eine ganz tolle Geschichte, ist aber hier, wie gesagt, eher unüblich. Und mit Sicherheit auch bei Kunert, speziell durch die Tatsache bedingt, da das Unternehmen früher mal 3000 Mitarbeiter hatte und heute nur 60, da können Sie sich vorstellen, wie die Entwicklung in den letzten 30 Jahren war. Und da konnten die Mitarbeiter nicht verabschiedet werden und die meisten hatten dann auch wirklich keine Lust darauf. Das war einfach zu schwierig. Die Firma Kunert war hier in der Region natürlich der Arbeitgeber über Jahrzehnte hinweg. Ja, und plötzlich ist er das nicht mehr. Das hat natürlich auch zu familiären und sozialen Problemen und zu Zerwürfnissen geführt. Auch wenn der Staat da viel abgefedert hat, ist das natürlich ein Problem, das geblieben ist. Und deswegen waren solche Festivitäten, hier im Hause eigentlich eher nicht üblich. Aber Sie haben recht, wenn ich daran denke, wir haben hier eine Kollegin, die ist jetzt 45 Jahre bei uns ist. Wenn sie nächstes Jahr im Sommer in den verdienten Ruhestand geht, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir da bestimmt was in der Richtung machen werden.

Ich werde sie nicht wissen lassen, aber hätte es da, gäbe es da schon Pläne, oder hätten Sie eine Vorstellung, wie man denn so eine Person nach so langem Dienst entlassen könnte?
Also ich fand das damals diese Geschichte, die ich vorher erzählt habe, wo eine Musikkapelle kam und die Verwandten, ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass man ihre Familie auch mit einlädt, und das kann man vielleicht auch ein bisschen im Geheimen, im Hintergrund vorbereiten. Man lädt sie mit ein, wir machen hier ein gemeinsames Frühstück und dann kann man vielleicht auch ein paar Stationen Ihres Arbeitslebens, in diesem Fall 40 oder 45 Jahren Revue passieren lassen, weil da ist ja auch sehr viel passiert. Das ist eine Mitarbeiterin, die jetzt auch den Herrn Kunert natürlich noch kennengelernt hat, unter ihm angefangen hat und hier eine Ausbildung gemacht hat. Sie ist mit so einem Unternehmen schon ganz, ganz stark verwurzelt. Und da würden wir mit Sicherheit eine kleine Diashow machen und schauen, dass wir alte Bilder zeigen und die Belegschaft mit einladen zu einem kleinen gemeinsamen Frühstück. So stelle ich mir das vor. 

Herr Gumbel, noch eine letzte Frage. Es ist in Bezug auf die Elite. Es wird jetzt ein Fest gemacht. Das ist das Kunstprojekt der Künstlerin Katharina Seda. Und meine Frage an Sie ist jetzt, ob Sie finden, es macht Sinn, ein Fest für eine Firma zu machen, die Bankrott gegangen ist. Was halten Sie davon?
Ich finde es ganz toll. Ich habe es Eingangs bereits erwähnt. Ich finde das Engagement, dass Sie hier an den Tag legen, hervorragend. Ich erinnere mich, wir hatten letztes Jahr bei uns in der Gemeinde, wo ich wohne ein 1250-Jahre-Fest. Die Gemeinde ist 1250 Jahre alt und ich bin da nur ein Bruchteil in dieser Gemeinde. Aber es hat mir so einen immensen Spaß gemacht, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen und das mitzuorganisieren. Einfach damit viele Dinge nicht in Vergessenheit geraten. Ja, das kann nicht immer nur innerhalb der Familie weitergegeben werden, sondern man muss auch die jüngere Generation der Mitbürger und Mitbürgerinnen auf solche Dinge hinweisen und sagen: „Schaut euch an, dass alles hier ist entstanden, weil wir die Möglichkeit hatten, so ein Unternehmen hier anzusiedeln, oder jemand auch bereit war, dieses unternehmerische Risiko zu tragen, wie ein Herr Kunert. Er haftete zu diesem Zeitpunkt ja immer mit seinem Privatvermögen. Und da muss ich sagen, es ist mit Sicherheit aller Ehren wert und die ganze Region hat davon profitiert, ob das in Immenstadt ist, oder in Varnsdorf. Ich finde das eine gelungene Aktion und eine gelungene Veranstaltung, die Sie da planen und was sie da alles gemacht haben. Gratuliere.

Danke schön. Herr Gumbel hat die Firma Kunert ein Motto? Was ist es? Was soll der Person einfallen, wenn sie Kunert hört? 
Es gab natürlich immer verschiedene, Mottos, sage ich jetzt mal. Je nachdem, was man auch marketingmäßig ausgerufen hatte in der Zwischenzeit. Da ist ja die Mode relativ schnelllebig geworden. Aber ich denke, der Begriff: „ich liebe meine Beine“, „I love my legs“. Das ist mit Sicherheit noch ein Begriff, wo wir Markenschutz für Kunert haben. „Ich liebe meine Beine“. Das ist so etwas, das betrifft mit Sicherheit die Dame und den Herrn in den 50er Jahren genauso, oder auch bereits in den 40er, oder 30er Jahren, so wie es das heute immer noch tut. Das wäre der Satz, den würde ich jetzt mal als Überschrift stehen lassen.

Herr Gumbel, ich glaube, in dem Fall sind wir offiziell am Ende unseres Interviews. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre ausführlichen Antworten. 

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